Die Spiegelhypothese
Wie man ohne Spiegel trotzdem Zuwächse sieht
Wusstest Du schon, dass Dein Training vor der Spiegelwand negative Folgen haben könnte? Deine Reaktionszeit wird verlangsamt, die Schnellkraft nimmt ab und der Gleichgewichtssinn verkümmert. Drehe Dich weg vom Spiegel mein Freund!
Was sagt denn die Wissenschaft?
Ein Sorry an dieser Stelle falls Du wirklich handfeste Studien erwartet hast. Wir haben keine gefunden.
Jetzt kannst Du entweder warten, bis irgendein Laborteam, das nichts mit Sport zu tun hat, eine Studie raushaut und in der Zeit denselben Fehler immer noch machen; oder Du hörst auf handfeste Beweise auf der Praxis. Nur weil man keinen wissenschaftlichen Background hat, heißt das nicht, dass alle Argumente Bullshit sind. Alle meine Argumente basieren auf dem gesunden Menschenverstand und etlichen Jahrzehnten im Studio.
Also, lasst uns diskutieren.
Spieglein, Spieglein, an der Wand
Egal in was für einem Studio Du bist, ich wette mit Dir, dass es Wände voll mit Spiegeln gibt. Das kann zu einem ernsthaften Problem werden.
Wenn man sich in ein Studio von olympischen Gewichthebern begibt, wird man feststellen, dass sie nicht einmal einen einzigen Spiegel an der Wand hängen haben. Verirrt sich ein Gewichtheber mal in ein Kettenstudio, wendet er sich instinktiv vom Spiegel ab. Ist das nicht interessant?
Wir sind Personal Trainer und verbringen daher einen Großteil unserer Zeit in Studios mit einer Armee an Spiegeln. Als ich dann vor ein paar Jahren an einem Kniebeuge-Wettkampf teilgenommen hatte, bemerkte ich, dass ich überhaupt kein Gefühl für die Tiefe der Wiederholung hatte.
Es traf mich wie ein Schlag, als ich Box Jumps vor einem Spiegel machte. Ich schaute mir selber bei der Übung zu, anstatt mich auf die Übung selbst zu konzentrieren. Das machte mich doch schon sehr stutzig. Deshalb beschloss ich, der Sache auf den Grund zu gehen.
Was man sieht und was man fühlt
Schon einmal beobachtet, dass ältere Menschen eher dazu neigen im Alltag zu stürzen als junge Menschen? Dazu gibt es ein paar verschiedene Gründe, doch kann es vor allem daran liegen, dass je älter die Person ist, der im Mittelohr befindliche Gleichgewichtssinn abnimmt und das Gehirn sein Feedback eher aus den Augen nimmt, anstatt vom Gleichgewichtssinn.
Mit den Augen sehen wir die Position der Dinge. Stolpert man, sendet das Auge Feedback ans Hirn, dass eine aufrechte Position hergestellt werden muss. Das funktioniert zwar an sich schon sehr gut, doch braucht das Gehirn die zweite Referenz aus dem Mittelohr um wirklich optimales Gleichgewicht halten zu können.
Wenn man sich nur auf das Auge verlässt, entsteht eine kleine Verzögerung in der Reaktion. Die Lichtstrahlen müssen erst das Objekt treffen und in Deine Netzhaut zurückgelangen, ehe Dein Gehirn merkt dass Du gerade am Fallen bist.
Das Mittelohr hingegen reagiert in „Echtzeit“, kleine Veränderungen der Umwelt werden direkt wahrgenommen und das Problem behoben. Der Unterschied ist zwar auf wenige Millisekunden begrenzt, doch sind es eben die Momente, in denen entschiedenen wird, ob Du Dich noch fangen kannst oder nicht.
Ein einfacher Test
Um Herauszufinden, welches Feedback-System bei Dir dominant ist, stellst Du Dich einbeinig aufrecht hin und schließt die Augen für 15 Sekunden. Wenn Du Dein Gleichgewicht mit offenen Augen gefunden hast, schließe einfach einmal die Augen und beobachte, wie leicht Dir das Stehen fällt.
Es kann sein, dass Du nach weniger als 3 Sekunden umkippst, was darauf schließen lässt, dass Dein Feedback-System ausschließlich auf Optik in den ersten Momenten zurückgreift.
Besonders Deine Oma würde schnell umkippen. Wenn Du noch jung bist, kannst Du die Veränderung der Umwelt meistens noch besser wegstecken – das Erschreckende ist jedoch, dass 90% aller meiner Klienten, die seit 10 Jahren vor dem Spiegel trainieren, wie ein Baumstamm nach vorne kippen.
Balance und Leistungsfähigkeit
Wenn Du zu den Personen gehörst, die sehr schnell umgekippt sind, läufst Du Gefahr Schnellkraft und Reaktionszeit eingebüßt zu haben.
Die visuelle Reaktionszeit an sich ist bereits halb so langsam wie die innere im Mittelohr. Wenn Du nun in einen Spiegel guckst, ist es sogar vier mal so langsam! Denn Zunächst siehst Du Dein Spiegelbild, was die Lichtstrahlen zurückwirft. Erst wenn das Licht vom Spiel in Deine Netzhaut gelangt, kannst Du Deine Fehlstellung beheben.
Wenn Du nur leichte Gewichte bewegst ist das kein Problem und auch bei Sätzen mit vielen Wiederholungen sollte das nichts ausmachen. Doch was ist bei wirklich schnellen Übungen, die die Maximalkraft fordern?
Die Lösung
Der erste Schritt ist einfach: drehe Dich vom Spiegel weg. Du kannst auch wenn nichts im Studio los ist, ein paar Yoga-Matten oder Handtücher vor den Spiegel hängen. Das hinterlässt keine Schäden und behindert niemanden.
In unserem Studio haben wir vor dem Kniebeuge-Ständer ein Bettlaken liegen, was wir bei Bedarf hochziehen.
Eine andere Möglichkeit wäre noch, dass Du gar nicht auf Dein Spiegelbild achtest. Du guckst dran vorbei, auf den Fußboden, an die Decke oder guckst in die Leere.
Natürlich kannst Du auch den Rücken zum Spiegel drehen, doch ist es bei Kniebeugen recht gefährlich, umgekehrt aus der Halterung zu laufen. Außerdem wirst Du in einem großen Studio an wirklich jeder Wand Spiegel haben oder irgendeinen Affen, der in Deinem Blickfeld rumhampelt. Rückwärts das Gewicht zum Kniebeugen ablegen ist außerdem viel zu gefährlich, um es regelmäßig zu machen.
Allgemein sind die wichtigsten Übungen, die OHNE Spiegel ausgeführt werden sollten: Kreuzheben, Kniebeugen, Überkopfdrücken, schweres Rudern und sogar schwere Langhantelcurls.
Pro und Contra
Man kann kein Urteil über ein Thema fällen, wenn man nicht beide Seiten der Geschichte kennt. Du solltest die Spiegel nicht verteufeln…Du solltest Dich nur nicht auf sie verlassen!
Vor einem Spiegel lernst Du Deinen Bewegungsablauf kennen und kannst Deine Technik im Auge behalten. Zusätzlich kannst Du Dich selber aus verschiedenen Winkeln bewundern, was auch nicht wirklich schlecht ist.
Komplett aufgepumpt vor den Hanteln, man schwitzt und die Adern sprengen fast die Haut – wer möchte sich denn nicht gerne so sehen? Es hilft definitiv der Motivation, sich selbst mit einem Pump vor dem Spiegel anzuhimmeln.
Besonders im Bodybuilding ist der Spiegel ein unerlässliches Werkzeug zur Kontrolle von Bewegungen. Du musst außerdem die Grundposen für den Wettkampf lernen, und das geht am besten vor einem Spiegel. Du wirst so viele Nuancen beobachten müssen, dass man gar nicht um die Verwendung eines Spiegel drum herum kommt.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass bei den Grundübungen die Nachteile des Spiegels die Vorteile überschatten.
Die Vorzüge der Beobachtung während eines Trainings können außerdem mit einer Digitalkamera genau so erreicht werden. Diese kosten heutzutage ja wirklich kaum was. Direkt nach dem Satz kannst Du Dir dann bereits das Video angucken und Du siehst genau, an welchem Teil der Bewegung Dein Problem liegt.
Hinzukommend: ein Video von dir, indem du etwas Beeindruckendes tust, ist mindestens genauso cool, wie es im Spiegel zu sehen. Einen Pre-Workout Booster vorher eingeschmissen und das Training wird legendär.
Der Spiegeleffekt
Wer sich immer und immer wieder auf den Spiegel verlässt, läuft Risiko ein paar Nachteilen zu begegnen. Falls Du noch unentschlossen bist, kannst du in einem Training ja einfach einmal den Test machen und ohne Spiegel trainieren. Wenn das Training schlecht wird, dann solltest Du Dich eventuell einmal an einer wochenlangen Vermeidung des Blickes in den Spiegel versuchen.
Es wird sich am Anfang definitiv ungewohnt anfühlen und das muss es auch! Nach kurzer Zeit automatisieren sich jedoch Deine Bewegungsabläufe und da der Mensch ein Gewohnheitstier ist, wirst Du sehr schnell nichts anderes mehr machen wollen.
Wenn Du eine schnellere Reaktionszeit willst, mehr Schnellkraft oder eine Sportart machst, bei der Gleichgewicht wichtig ist, dann versuche Dich einmal am Training ohne Spiegel. Für das Ego gibt es nach wie vor die Digitalkameras, die Dich in Full HD in Deiner ganzen Pracht aufnehmen.
Stimmt ihr uns in dem Thema zu oder denkt ihr, wir sind vollkommen verrückt?
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Zusammenfassung:
Ein kontroverses Thema, über das es sich zu diskutieren lohnt. Meine Hypothese ist, das ein Spiegel beim Training negative Folgen auf Reaktionszeit, Schnellkraft und den Gleichgewichtssinn hat. Dafür gibt es zwar keine Studien (meines Wissens nach), allerdings jahrzehntelange Erfahrung aus dem Studio.
In den meisten Studios sind die Wände vollgepflastert mit Spiegeln. Aber schaut man mal in die Trainingsräume von Olympioniken, haben die gar keinen Spiegel. Das Problem ist, man konzentriert sich bei der Ausführung auf sein Spiegelbild und nicht mehr auf die Übung. Damit geht die Übung nicht in Fleisch und Blut über. Man verlässt sich mehr auf die Augen als auf den Gleichgewichtssinn, und die Reaktionen durch die Augen haben eine kurze Latenz im Vergleich zum Gleichgewichtssinn. Das kannst du einfach mal testen, indem du dich einbeinig hinstellst und für eine Viertelminute die Augen schließt. Wenn du nach ein paar Sekunden gleich Probleme hast, stehen zu bleiben, hat sich dein Gehirn vorher eher auf deine Augen verlassen und ist nun hilflos. Solltest du gut stehen bleiben, wirkt dein Gleichgewichtssinn, der nach wie vor unbeeinträchtigt funktioniert. Das ist schon interessant, wird beim Training wo es auf Maximal- und Schnellkraft ankommt aber zum Problem. Also Sofortmaßnahme solltest du dich erstmal grundsätzlich vom Spiegel wegdrehen. Du solltest dein Spiegelbild nur nutzen, wenn es darum geht, einen Bewegungsablauf zu lernen. Dies erfolgt ja aber meistens mit niedrigen Gewichten. Und natürlich ist es motivierend, sich nach einer harten Übung vollgepumpt aus verschiedenen Winkeln zu betrachten, und festzustellen, dass die Arme aussehen wie Landkarten. Klar! Aber ich bin der Meinung, man sollte den Spiegel auch nur bewusst für so etwas nutzen.
Ich empfehle dir, einfach mal den Test ohne Spiegel zu machen. Es wird sich komisch anfühlen und wenn du dann garnicht mehr zurecht kommt weißt du, dass du es jetzt mal eine ganze Zeit lang ohne den schaffen solltest. Wie seht ihr das?
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